Farmer Boys „Born Again“ Albumkritik – endlich wieder Schwabenmetal

Als Musikfan lernt man schnell, dass alles vergänglich ist. Die Lieblingsband löst sich auf, der Sänger begeht Suizid oder sie verschwinden aus anderen Gründen von der Bildfläche. Dann hört man die guten alten Alben hoch und runter, nur neue Musik kommt nicht mehr. Manchmal hat das Schicksal ein Einsehen und beschenkt einen unerwartet mit einer Reunion, einem Comeback oder sogar einem neuen Album der ehemaligen Heroen. Was hab ich mich gefreut, als sich anno 2009 die Helden meiner Jugend Faith No More zusammengerauft haben. Und jetzt sind die Farmer Boys wieder da! Der Herbst 2018 könnte nicht güldener leuchten, als das Cover des neuen Albums „Born Again“.

Es war irgendwann Mitte der Neunziger als mir nachts das Video zu „Never let me down again“ auf MTV oder Viva entgegenflimmerte. Die sprechen ja schwäbisch? Aber bevor ich es vorschnell als Teutonen-Metal abtun konnte, setzten die Riffs von Alex Scholpps tiefergestimmten Gitarre ein und ich war hellauf begeistert von dem groovenden harten Sound. Das Debütalbum und alle darauffolgenden hatten einen roten Faden aus New Wave, einem Faible für sphärische Synthieflächen und hart treibende Gitarren und eine höllisch groovende Rhythmus-Sektion aus Drums und Bass. Man konnte über die Jahre eine schöne Entwicklung ausmachen. Die Arrangements wurden ausgefeilter und vielschichtiger, reifer sozusagen, ohne jedoch in Kitsch abzugleiten. Linkin Park haben ab 2007 vorgemacht, wie so etwas schnell schiefgehen kann. Seither klingen sie meiner Meinung nach wie ein bemühter Abklatsch von U2. Die Farmer Boys blieben sich treu aber rar, denn nach dem letzten Album „The Other Side“ 2004 traten sie nur noch zwei mal live in Erscheinung. Zu sehr waren alle Band-Mitglieder in anderen Projekten eingespannt.

Ende 2017 dann ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk: Ein neues Album wurde angekündigt, eine kleine Warm Up-Tour auch. Die Vorab-Single „You And Me“ verhieß Großartiges. Im April 2018 haben die Farmer Boys dann live schnell klar gemacht, was all die Jahre gefehlt hat: Druckvolle Härte mit Groove und filmreifen Melodien. Klar macht sich da bezahlt, dass Sänger Matthias Sayer als Filmkomponist tätig ist. Auch Gitarrist Alex hält sich gleich in mehreren Projekten fit. So ist er bei Tieflader, Tarja Turunen, in seiner Musikschule und mit seinem Solo-Projekt „Der Elefant“ aktiv. Zwei personelle Neuzugänge bereichern jetzt die Band an Schlagzeug (Timm Schreiner) und Keys (Richard Duee), Bass spielt wieder Gründungsmitglied Ralf Botzenhart.

Seit einigen Tagen ist jetzt das neue Album „Born again“ veröffentlicht, das erste seit 14 Jahren. Nach so langer Zeit kann die aufgestaute Erwartungshaltung und Vorfreude auch in Enttäuschung umschlagen. Halten die neuen Songs, was man sich vorher nächtelang über alte Plattenhüllen weinend so schön ausgemalt hatte? Aber selbstredend! Nach einem phänomenalen Opener, dessen Arrangement und Dramaturgie jedem Weltraum-Epos zur Ehre gereicht hätte (Streicher! Klavier!! Bläser!!!) geht „Faint Lines“ in die Vollen! Der Mix ist angenehm aufgeräumt und tönt klar, aber druckvoll aus den Boxen. Schon vor 20 Jahren fand ich, war die Reife von Matzes Stimme seinem wahren Alter voraus. Jetzt passt alles perfekt zusammen und fügt sich zu Hymnen, die so nur die Farmer Boys liefern. Natürlich hat einen „Here Comes The Pain“ einen Platz im Olymp sicher. Aber mit dem neuen Material gibt es endlich mehr von dem Stoff, der süchtig macht.

Wie Alex in „Fiery Skies“, „You And Me“, „Tears Of Joy“ oder „In The Last Days“ seine Soli harmonisch perfekt passend zu Background-Chören und anderen Instrumenten raus haut, ist eine Klasse für sich. Klar kann er schnell spielen. Aber er nimmt sich zurück und liefert songdienlich auf den Punkt ab. Tieferstimmen und rumknüppeln können viele. Aber melodische Gitarren-Soli mit hohem Wiedererkennungswert als Sahnehäubchen im Wechsel mit hart groovendem Rhythmus sind ein Markenzeichen der symphathischen Metaller aus Stuttgart.

Eine neue akustische Seite bietet „Isle Of The Dead“. Das klingt als Kontrastprogramm zum vollen Bombast erst einmal überraschend reduziert und intim. Vor 20 oder 30 Jahren hätten manche von uns zu diesem Song auf einer Kuschelrock-CD wahrscheinlich das erst mal geknutscht. Heute wirkt alles gereifter, „erwachsener“ und aus einem Guss. Die Arrangements und auch der Mix lassen jedem Instrument und jeder Melodie den nötigen Raum und so macht das Album auch auf großen Lautsprechern richtig Spaß. Das Intro „Mountain“ geht nahtlos in „Stars“ über nur um nach 20 Sekunden in Alex markanter Gitarrenarbeit zu münden. Die Musik bleibt wie immer bei den Farmer Boys schnell im Ohr hängen. „Oblivion“ liefert genau das, was mir bei anderen modernen Metal-Genres wie Metalcore fehlt: Kopfnicker-Groove, brachiale Härte und trotzdem ausgefeilte Gesangs-Arrangements für dramatische Theatralik im besten Sinn wie auch bei „Revolt“. Der Titeltrack „Born Again“ fasst auf 5:32 Minuten alles noch einmal zusammen, wofür die Farmer Boys 2018 stehen.

FAZIT

Wahrlich großes Kino. Gut, dass die Farmer Boys wieder da sind! Ihr Comeback-Album „Born Again“ überzeugt nicht nur alte Fans. Das ist moderner Metal für alle, die Groove und fette tiefe Gitarren mit Ohrwurm-Melodien mögen. Man hört die Erfahrung der Musiker und wie moderner Metal klingen muss – hoffentlich für viele kommende Jahre.